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1. Der Sturm »Milton« hat heftige Schäden verursacht – und es werden ihm wohl ähnlich starke Stürme folgen
»Immer noch Sturm« heißt eines der wichtigen Theaterstücke des in politisch-moralischen Fragen eher windigen Literaturnobelpreisträgers des Jahres 2019, Peter Handke. Heute hat die Zerstörungskraft des Hurrikans »Milton« viele Menschen in den USA und in Deutschland beschäftigt.
Die Wetterlage im US-Bundesstaat Florida darf keineswegs als beruhigt bezeichnet werden, mindestens 70.000 Menschen haben Schutz in Notunterkünften gesucht. Nach ersten Einschätzungen sind die Auswirkungen des Sturms und der dazugehörigen Sturmflut aber möglicherweise nicht ganz so drastisch wie von Fachleuten befürchtet.
Mein Kollege Claus Hecking hat mit dem Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf über die Zunahme besonders schwerer Hurrikane wie »Milton« oder zuletzt »Helene« vor den US-Küsten gesprochen. Nach Rahmstorfs Einschätzung sind die Hardcore-Hurrikane ganz klar Produkte des Klimawandels.
»Wissenschaftliche Studien zeigen: Infolge der Erwärmung gibt es nicht unbedingt häufiger tropische Wirbelstürme«, sagt Rahmstorf im Interview mit dem SPIEGEL . »Aber die Hurrikane werden tendenziell immer stärker und zerstörerischer.«
Das Wasser im Golf von Mexiko sei zurzeit außerordentlich warm, so Rahmstorf. Dadurch habe Hurrikan »Milton« zum einen besonders viel Energie geladen; zum anderen verdunste infolge der höheren Temperatur mehr Wasser. »Der Klimawandel erschafft ›Stürme auf Steroiden‹ – ›Storms on Steroids‹ wie ein US-Kollege das genannt hat.«
Das ganze Interview mit Stefan Rahmstorf lesen Sie hier: »Der Klimawandel erschafft Stürme auf Steroiden«
2. Der Wahlkämpfer Trump lächelt Fragen nach seiner Fitness weg – wirkt aber bisweilen, als sei er nicht auf der Höhe der Zeit
»Früchte des Zorns« heißt ein Roman des leider in Deutschland nicht mehr besonders vielgelesenen Literaturnobelpreisträgers des Jahres 1962, John Steinbeck. Der Titel wird bis heute in der Alltagssprache verwendet, besonders häufig in Zusammenhang mit den Wutauftritten von Donald Trump und deren erhofftem Effekt im US-Präsidentschaftswahlkampf. Mein Kollege Roland Nelles schreibt heute über die offenbar wichtige Frage, wie fit der Kandidat der Republikaner eigentlich ist. Trumps Reden wirkten zunehmend wirr, aus seinem Gesundheitszustand macht er ein Geheimnis. »Kamala Harris will davon profitieren.«
Mein Kollege schildert ein hochinteressantes, natürlich irres Verschwörungsszenario, das unter Linken und anderen Trump-Gegnern in den USA derzeit verbreitet wird. Das herbeifantasierte Szenario geht ungefähr so: Der angeblich gesundheitlich angeschlagene Trump werde kurz nach seinem möglichen Wahlsieg aus dem Amt des US-Präsidenten befördert und durch seinen fast vier Jahrzehnte jüngeren Vize, J.D. Vance, ersetzt. Eine Oligarchen-Clique, bestehend aus den Unternehmern Elon Musk, Peter Thiel und anderen, habe ihren Protegé Vance genau für diesen Zweck als Vize neben Trump platziert. Eine Anti-Trump-Gruppe hat der angeblichen Verschwörung um Trumps Vize-Kandidaten ein Video mit dem Titel »Brutus« gewidmet.
»Natürlich liefert niemand einen Beweis für die angebliche Kabale«, berichtet mein Kollege Roland. »Doch sicherlich trifft die offensichtlich frei erfundene Erzählung bei Donald Trump einen wunden Punkt: Der Kandidat der Republikaner für das Präsidentenamt ist alt, und er wirkt bei seinen öffentlichen Auftritten bisweilen wie jemand, der nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist.« Fragen nach seiner Fitness lächelt Trump wahlweise weg oder behandelt sie wie eine Majestätsbeleidigung. Daten über seinen aktuellen Gesundheitszustand hält er streng unter Verschluss.
Zwei Dutzend Mal werden wir noch wach, heißa, dann ist USA-Wahltag. »Zumindest für jüngere Wähler könnte der sichtbare Altersunterschied zwischen Trump und Kamala Harris eine zunehmende Rolle bei ihrer Wahlentscheidung spielen«, so mein Kollege Roland. »Mehr als die Älteren konsumieren sie täglich die unzähligen Witze und Videos, die in den sozialen Medien wie TikTok über Donald Trumps wirre Reden kursieren.«
Lesen Sie hier mehr: Wie fit ist Donald Trump?
3. Die Schriftstellerin Han Kang schreibt präzise über die Verlorenheit moderner Menschen – und ist eine großartige Wahl für den Literaturnobelpreis
»Die Vegetarierin« heißt das in Deutschland bekannteste Buch der Südkoreanerin Han Kang, die heute den Literaturnobelpreis des Jahres 2024 zuerkannt bekommen hat.
Han Kangs Roman, auf Deutsch 2016 erschienen, erzählt von der Rebellion einer koreanischen Hausfrau. Sie beginnt damit, dass sie eines Tages davon träumt, sich in eine Pflanze zu verwandeln. Nach diesem Traum ändert sie ihr Leben und wird dafür brutal bestraft. Es ist ein in grandios karger, poetischer Sprache geschriebenes Buch, das zumindest ich beim Lesen als zugleich sehr traurig und sehr lustig empfand. Die Heldin verlässt ihren gar nicht besonders schrecklichen, aber lieblosen Mann und hat sagenhaft leidenschaftlichen Sex mit ihrem Schwager. In der SPIEGEL-Kritik zum Buch hieß es treffend: »Die beiden schlafen miteinander wie zwei sich verzehrende Schlingpflanzen.«
Der Nobelpreis für Han Kang ist eine tolle Entscheidung, die nur auf den ersten Blick nicht in eine laute, lärmende, kriegerische Welt von heute passt – weil sie eine eher stille, elegante, wunderbar gewissenhafte Autorin ehrt.
Mein Kollege Enrico Ippolito hat kürzlich den Roman »Griechischstunden« von Han Kang besprochen und die Autorin dafür gelobt, dass sie ungeheuer präzise über »Selbstentfremdung, Entkörperlichung und inneres Leid« schreibe. »Es sind dieselben Themen, die auch das allseits gefeierte südkoreanische Kino gern behandelt.«
Die erst 53-jährige Schriftstellerin gilt in Südkorea schon lange als eine der wichtigsten literarischen Stimmen. Die Nobelpreisjury zeichnet sie aus, so die Begründung heute, »für ihre intensive Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt«.
Lesen Sie hier mehr: Nobelpreis für Literatur geht an Han Kang
Was heute sonst noch wichtig ist
»Tödlich, präzise und überraschend« – Israel kündigt Angriff auf Iran an: Israel bombardiert weiter den Süden Beiruts und ein Ziel in Syrien. Verteidigungsminister Gallant droht Iran. Und: Erstmals seit Ende August hat US-Präsident Biden mit Israels Premier Netanyahu gesprochen. Der Überblick.
Ryanair streicht weitere Flugverbindungen nach Deutschland: Der Standort Deutschland ist dem irischen Billigflieger Ryanair zu teuer geworden. Jetzt kündigt Airlinechef Eddie Wilson den nächsten Kahlschlag bei den Flugrouten an.
Tennisstar Nadal kündigt Karriereende an: Er ist einer der erfolgreichsten Spieler der Tennisgeschichte, zuletzt plagten ihn Verletzungen. Jetzt hört Rafael Nadal auf. Seinen finalen Profiauftritt plant der Spanier beim Davis Cup im November.
Meine liebsten Leserbriefe heute: Klopp, die Wette gilt

Gestern hat mein Kollege Oliver Trenkamp an dieser Stelle gefragt, ob jemandem bessere Jobtitel für Jürgen Klopps Visitenkarte einfallen, sollte er einmal Trainer der Nationalmannschaft werden. Es kamen unzählige Mails von Ihnen, nicht alle können wir veröffentlichen.
Zu den besten Vorschlägen zählen diese:
– Head of Make Germany Happy Again
– Executive National Schland-Coach
– Chief of Kloppal Soccer
– Head of 80 Million Bundestrainers
– Global Heart of Schloccer
Mehr über Jürgen Klopps Zukunft lesen Sie auch bei 11FREUNDE (alle Abonnentinnen und Abonnenten von SPIEGEL+ können die Artikel von 11FREUNDE bei uns als Teil des bestehenden Abos digital lesen): Die Enttäuschung
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
»Wir dürfen die Fehler Roms nicht wiederholen«: Den USA und Europa droht ein ähnlicher Bedeutungsverlust wie dem römischen Reich, meint der Politökonom John Rapley. Er warnt: Der Versuch, zu alter Größe zurückzukehren, wird die Probleme nur verschlimmern.
Holpriges Krisenmanagement, schlechte Kommunikation nach Solingen-Anschlag: Der Terroranschlag in Solingen wird aufgearbeitet, jetzt geht es um die Frage: Wer wusste in Düsseldorf wann wovon? Interne Dokumente zeigen, wie schlecht der Austausch zwischen Innenminister Reul und Fluchtministerin Paul lief.
Eklat um Sahra Wagenknechts Bedingungen: Die Gespräche zwischen CDU, BSW und SPD in Erfurt über eine mögliche Koalition stocken. Grund ist Sahra Wagenknechts Position zu Krieg und Frieden. Auch eine vertrauliche Dreierrunde kommt nach SPIEGEL-Informationen nicht weiter.
Was heute weniger wichtig ist
Zeit, dass er was dreht: Der Popstar Herbert Grönemeyer, 68, erinnert sich selbstkritisch an seine Schauspielerkarriere in jungen Jahren. »Ich habe so manche Rolle in den Sand gesetzt«, sagte er bei einer Veranstaltung in Essen über seine Arbeit in Film und Theater. Der unter anderem für das Lied »Zeit, dass sich was dreht« bekannte Sänger kann sich trotzdem vorstellen, noch mal als Schauspieler aktiv zu werden: »Wenn ich eine gute Rolle kriegen würde und da dann ein guter Regisseur ist, der dann auch hinguckt und mich auch richtig führt, dann kann das gut sein.«
Mini-Hohlspiegel

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages

Und heute Abend?
Könnten Sie mal wieder in die Oper gehen. Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge hat Opern immer mal wieder als »Kraftwerke der Gefühle« bezeichnet. Der Wirkung eines solchen Kraftwerks liege »etwas ganz Einfaches zugrunde: Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen.«
Ich habe mir in den letzten Tagen zwei herausragende und unbedingt empfehlenswerte Produktionen angesehen. In München Erich Wolfgang Korngolds »Die tote Stadt« in der Inszenierung von Simon Stone und in Hamburg Carl Orffs »Trionfi« in der Inszenierung von Calixto Bieto. Ich war zweimal absolut begeistert.
Weil in der modernen Kulturwelt viele Attraktionen um Aufmerksamkeit buhlen, ist es schön, dass es sich auch manche Fernsehsender zur Aufgabe gemacht haben, ein größeres Publikum für die Kunst der Oper zu begeistern. In Deutschland ist es vor allem der Sender 3sat, der zum Beispiel in einem alljährlichen »Festspielsommer«-Programm Opernaufführungen zur besten Sendezeit am Samstagabend ausstrahlt.
Nun ist 3sat in der Existenz gefährdet, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk schlanker werden muss. »Tatsächlich fließen von den derzeit 18,36 Euro an Rundfunkgebühren pro Monat keine zehn Cent an 3sat«, schreibt mein Kollege Arno Frank über diesen leider banausenhaften Plan.
Die Absicht, ausgerechnet 3sat über die Klinge springen beziehungsweise »in Arte aufgehen« zu lassen, sei einen tiefen Seufzer wert, findet Arno. »Vielleicht sogar einen kleinen Aufschrei.«
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort